Grünen-Politikerin Tessa Ganserer - "Letztendlich geht es um Grund- und Menschenrechte" (2024)

Grünen-Politikerin Tessa Ganserer - "Letztendlich geht es um Grund- und Menschenrechte" (1)

Erstmal in der Geschichte des Bundestags ziehen zwei offen lebende Trans-Personen in den Bundestag ein: die beiden Politikerinnen der Grünen Tessa Ganserer und Nyke Slawik. Vor dem Wechsel in den Bundestag war Tessa Ganserer seit Oktober 2013 Mitglied im Bayerischen Landtag. 2018 war sie die erste Abgeordnete, die sich als transidente Person outete. Bei der Bundestagwahl 2021 trat sie für das Direktmandat des Wahlkreises Nürnberg-Nord an, den Einzug ins Parlament schaffte sie über die bayerischen Landesliste der Grünen, auf der sie Platz 13 inne hatte.

Ganserer ist überzeugt, dass ihre Anwesenheit und die ihrer Parteikollegin Nyke Slawik die Stimmung im Bundestag verändern wird. "Es ist viel leichter, über Minderheiten herzufallen, wenn sie nicht anwesend sind." Sie sei optimistisch, dass es auch dadurch zu einem Umdenken in den konservativen Parteien komme. Das habe sie auch in ihren acht Jahren im Bayerischen Landtag erlebt, dort hätten selbst die CSU-Abgeordneten kein Problem gehabt, sie als Frau zu akzeptieren.

Reformbedarf beim Transsexuellen-Gesetz und Abstammungsgesetz

Im Interview machte Ganserer deutlich , dass sie bei der Bundestagswahl angetreten ist, um sich für die Anliegen der queeren Gemeinschaft einzusetzen. "Deswegen bin ich hier und es ist einfach längst überfällig, dass diese ganzen Themen auf dem parlamentarischen Weg gelöst werden." Es sei Zeit für eine mutige Politik, die die Rechte von queeren Menschen verteidige und entsprechende Gesetzesreformen auf den Weg bringe.

Dabei gehe es nicht nur um das Transsexuellen-Gesetz, das die Grünen-Politikerin als entwürdigend kritisiert und von einem Selbstbestimmungs-Gesetz abgelöst haben will. Sie fordert außerdem die Reformierung des Abstammungsrechts, einen Aktionsplan für Vielfalt und die institutionelle Förderung von Akzeptanz. Darüber hinaus plädierte Ganserer dafür, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu reformieren. Das sei nicht nur für queere Menschen notwendig, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung, so die Politikerin.

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Das Interview im Wortlaut:

Katharina Peetz: Können Sie kurz sagen: Wo erreiche ich Sie gerade? Sind Sie schon in Berlin?

Tessa Ganserer: Ich bin bereits am Montagnachmittag nach Berlin gefahren und bin jetzt gerade hier im Abgeordnetenbüro von meiner ehemaligen Landtagskollegin Margarete Bause untergekommen, bin gerade dabei, auch hier die Büro-Infrastruktur so langsam aufzubauen und einzurichten.

"Ich bin immer noch überwältigt und voller Freude, dass es geklappt hat"

Peetz: Da ist wahrscheinlich erst mal noch eine Menge zu tun. Mit welchen Gedanken, mit welchen Erwartungen kommen Sie jetzt so langsam rein in Berlin?

Ganserer: Erst einmal bin ich immer noch überwältigt und voller Freude, dass es geklappt hat, und momentan strömt gerade alles auf mich ein. Mich haben in den letzten Tagen unendlich viele Glückwünsche über alle möglichen Kanäle erreicht. Ich komme den Presseanfragen kaum hinterher und tausende Informationen, also sehr ereignisreiche und voll hektische Tage, aber wunderschöne Tage.

Peetz: Wenn Sie sagen, die Presseanfragen und ganz viele Glückwünsche, aber auch Aufmerksamkeit. Ich habe es am Anfang gesagt, Sie sind mit Ihrer Parteifreundin Nyke Slawik die einzigen Transfrauen im Bundestag. Ich habe mich gefragt: Nervt es Sie, dass es jetzt so ein Thema ist und immer darauf angesprochen zu werden, oder ist es ein positives Gefühl von Sichtbarkeit?

Ganserer: Es ist emotional anstrengend, weil wenn ich darüber rede, über das Thema Trans, was hier auch politisch zu tun ist, dann geht es auch immer um meine persönlichen Empfindungen, um mich auch als Person. Aber es sind hoch politische Themen. Letztendlich geht es hier um Grund- und Menschenrechte und deswegen finde ich es wichtig, nachdem das Thema Trans jahrzehntelang gesellschaftlich verschwiegen, stigmatisiert und transgeschlechtliche Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, dass wir da, wo über uns entschieden wird, im Deutschen Bundestag – wir auch selber das Wort ergreifen können und unsere Stimme gehört wird.

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Ganserer: Überfällig, dass queere Themen parlamentarisch gelöst werden

Peetz: Das heißt, ich höre da raus, das nehmen Sie sich für die Legislaturperiode vor, dass Sie vor allem die Anliegen der Queeren-Community vertreten wollen?

Ganserer: Ja! Deswegen bin ich angetreten für die Wahl zum Deutschen Bundestag. Deswegen bin ich hier und es ist einfach längst überfällig, dass hier diese ganzen Themen auf dem parlamentarischen Weg gelöst werden, weil es nicht mehr geht, dass queere Menschen ihre Rechte mühsam in Prozessen bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht erstreiten müssen. Es ist die Zeit für eine mutige Politik, für eine neue Bundesregierung, die auch für einen guten gesellschaftlichen Umgang beherzt die Rechte von queeren Menschen verteidigt und die entsprechenden Gesetzesreformen auf den Weg bringt.

Peetz: Wenn wir da ein bisschen konkreter werden: Da geht es zum Beispiel um das Transsexuellen-Gesetz. Oder gibt es konkrete Vorhaben, politische Aspekte, die Sie sich vorgenommen haben?

Ganserer: Es geht hier nicht nur um das Transsexuellen-Gesetz. Es sind noch einige andere Bereiche, wo rechtliche Benachteiligung stattfindet. Es ist überfällig, dass das Abstammungsrecht reformiert wird, wonach momentan verheiratete lesbische Frauen ihre gemeinsamen Kinder adoptieren müssen. Das ist diskriminierend. Auch hier liegen entsprechende Beschwerden zur Prüfung beim Bundesverfassungsgericht vor und ich würde mir wünschen, dass es hier schneller zu einer politischen Lösung kommt und diese Mütter ihre Rechte nicht mühsam vorm Bundesverfassungsgericht erstreiten müssen.

Es geht um die Reform und die Abschaffung des entwürdigenden Transsexuellen-Gesetzes, das endlich durch ein Selbstbestimmungs-Gesetz abgelöst werden muss. Es geht aber auch darum, dass queere Menschen heute noch in unserer Gesellschaft in nahezu allen Lebensbereichen Ablehnung und Benachteiligung erfahren, und deswegen braucht es hier einen Aktionsplan für Vielfalt und institutionale Förderung von Akzeptanz fördernden Organisationen und Einrichtungen, und es braucht eine Novelle des Allgemeinen Gleichstellungs-Gesetzes, das Menschen vor Benachteiligung anhand von gruppenbezogenen Merkmalen schützt. Das ist nicht nur für queere Menschen notwendig, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen. Die brauchen hier eine Stärkung ihrer Rechte, einen besseren Schutz vor Diskriminierung, und deswegen muss das Allgemeine Gleichstellungs-Gesetz reformiert werden. Und es geht auch darum, dass wir dort, wo fehlende Akzeptanz richtiggehend in Hass und in Gewalt umschlägt, Hasskriminalität online wie offline konsequenter ahnden.

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Der schwierige Weg zu einem neuen Transsexuellenrecht
Seit Jahren wird über eine Reform des Transsexuellengesetzes gestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat Teile davon als verfassungswidrig eingestuft, eine Neuregelung muss her.

"Es ist viel leichter, über Minderheiten herzufallen, wenn sie nicht anwesend sind"

Peetz: Wenn Sie das Stichwort Ablehnung oder zum Teil auch Hass oder Anfeindungen nennen – vielleicht auch mit Blick auf die Erfahrungen, die Sie selber gemacht haben. Sie haben sich vor drei Jahren als erste Abgeordnete in Deutschland als transident geoutet. Was erwarten Sie jetzt für den Umgang mit Ihren Parlamentsabgeordneten? Das Thema Geschlechteridentität wird ja viel diskutiert und wird auch sehr unterschiedlich diskutiert.

Ganserer: Ich bin der Überzeugung, dass die Anwesenheit von Nyke Slawik und mir bei den parlamentarischen Debatten auch für eine andere Stimmung sorgen wird. Es ist viel leichter, über Minderheiten herzufallen, wenn sie nicht anwesend sind, aber ich bin da sehr optimistisch, dass es hier zu einem Umdenken in der Position bei den konservativen Parteien kommt, weil ich aus meiner Erfahrung sagen kann, dass selbst die Abgeordneten der CSU im bayerischen Landtag überhaupt kein Problem hatten, mich als die Frau zu lesen und zu akzeptieren, die ich bin, und auch im Wahlkampf andere Unions-Abgeordnete mit mir kein Problem hatten. Deswegen habe ich in den letzten Jahren überhaupt nicht verstanden, warum sich gerade die Unions-Parteien so schwergetan haben, hier für gleiche Rechte im Deutschen Bundestag zu stimmen.

Peetz: Glauben Sie, dass es so eine Art Gewöhnung der anderen Parlamentsabgeordneten braucht, oder können Sie nachvollziehen, wenn Menschen am Anfang vielleicht unsicher sind, wie sie Ihnen begegnen?

Ganserer: Ich habe im bayerischen Landtag von den Abgeordneten der demokratischen Fraktionen überhaupt keine Unsicherheit gespürt – ganz im Gegenteil! Ich habe da Solidaritätsbekundungen aus allen demokratischen Fraktionen erhalten und das war überhaupt kein Thema. Und ich glaube, das wird im Deutschen Bundestag auch nicht anders sein.

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Welche Koalitionen sind denkbar?
Die SPD hat die Bundestagswahl gewonnen. Dennoch werden zunächst FDP und Grüne gemeinsam ihre Regierungsoptionen ausloten. Eine wahrscheinliche Koalitionsoption ist ein Ampel-Bündnis – es gibt aber auch andere.

Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine tolerante Gesellschaft

Peetz: Zum Abschluss vielleicht noch eine Frage, die ich Ihnen als Grünen-Abgeordnete gerne noch stellen will. Wie sehr hoffen Sie auf eine Ampel-Koalition?

Ganserer: Mir ist es wichtig, dass es hier in Deutschland endlich zu einer Regierung kommt, die die großen Herausforderungen der Zukunft beherzt angeht. Es geht hier darum, dass wir beim Thema Klimaschutz endlich vorankommen und uns den Aufgaben stellen. Wir müssen auch für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, aber auch für eine offene und tolerante Gesellschaft eintreten. Von demher glaube ich, da gibt es genügend Schnittmengen für eine Ampel-Koalition, und ich warte jetzt ganz entspannt und ganz interessiert auch die ersten Sondierungsgespräche ab.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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